Bei einer Kameltour in die Wüste bei Jaisalmer schlafen wir unter freiem Himmel. In der heiligen Stadt Varanasi beobachten wir die rituellen Open-Air-Verbrennungen der Toten am Ufer des Ganges.
Bodies In The River
Jaisalmer, Varanasi, Indien // 25. November – 2. Dezember 2011
Unsere letzte Station in Rajasthan wird Jaisalmer, die goldene Stadt in der Wüste nahe (in indischen Dimensionen) der Grenze zu Pakistan. Nach einer weiteren (Alb-)Traum-Busfahrt werden wir im Artist Hotel von Besitzer Helmut aus Österreich mit Apfelstrudel und Cappucino empfangen. Hmmm! Wer den weiten Weg nach Jaisalmer auf sich nimmt, möchte die Wüste auf Kamelen erkunden. Bevor unsere Safari losgeht, bestaunen wir die Havelis (Windhäuser) und die Festung der schönen Altstadt. Abends gibt es für uns ein kleines Privatkonzert auf der Dachterrasse des Hotels. Ösi Helmut beschäftigt und unterstützt die traditionellen Musiker eines Nomaden-Volkes und so wimmelt es von Trommlern, Sängern und einer Vielzahl an obskuren Saiteninstrumenten.
Am nächsten Morgen verabschieden wir uns für zwei Tage in die Wüste. Helmut organisiert uns gleich zwei Guides und drei Kamele namens Daphne, Pabu und Bonnie. An das Reiten gewöhnt man sich schnell, nur das ruckartige Auf- und Absteigen schüttelt ganz schön durch. Außerdem schreiten unsere Kamele gerne mitten durch die Wüstensträucher, um die nervigen Fliegen abzuwimmeln. Mit dem Resultat, dass wir mit Blättern und Ästen behangen sind. In der gleißenden Mittagshitze rasten wir im Schatten eines Baumes. Um uns herum grasen Ziegen und die Hirten setzen sich einfach zu uns und schlürfen Chai. Das reichhaltige Essen (Curry und Chapatis), das die Guides mit minimalistischer Ausstattung frisch für uns bereiten, ist ein Gaumenschmaus.
Guide Danjel erzählt uns, dass das einfache Leben als Camelman in der Wüste ihn glücklich mache, und wie das Stadtleben so ganz und gar nicht seins wäre. Herrscht keine Touristensaison, kehrt er heim in ein entfernt gelegenes Wüstendorf zu Frau und Kindern, für die er das komplette Geld, das er verdient, spart, da er als Guide quasi umsonst lebt. Wasser und Essen in Form von Gemüse, Öl, Eiern und den Zutaten für den Chapati-Teig wird von Helmut zu Beginn jeder Tour geliefert, die Übernachtung ist umsonst. Auch für uns, da wir in einer Düne zum Nachtlager Halt machen, während die Sonne über der Wüste untergeht. Teppiche, die für die hier und da herumrennenden riesigen Mistkäfer unbezwingbar sind, werden ausgebreitet, man bekommt zwei oder drei dicke Decken übergeworfen – fertig ist das wortwörtliche Sternenhimmelbett.
Während wir frühstücken, müssen Danjel und sein Kollege erst einmal Daphne, Pabu und Bonnie einsammeln, die nachts mehr oder minder Freigang haben und unangekettet die Umgebung abgrasen. Besonders Pabu entfernt sich gerne einmal bis zu einem Kilometer vom Lager, doch durch den charakteristischen Klingelton seiner Glocke können die erfahrenen Guides ihn mühelos orten. Mittags machen wir Halt im Dorf von Danjels Kollegen. Der präsentiert uns eine Wohnung, die – wie hier üblich – aus einer Mischung aus Sand, Wasser und Kamelkacke gefertigt ist. Er hat allen Grund, stolz zu sein. Immerhin verfügen er, seine Frau und eine für uns nicht ganz genau definierbare Zahl an Kindern (mindestens vier, zwei weitere herumtollende Kiddies glauben wir, als Nachbarn zu identifizieren) über einen Wohn/Schlafraum für alle, Küche und neuerdings auch Zugang zu (allerdings nur für Locals konsumierbarem) Frischwasser aus einem Brunnen. Wir spielen gemeinsam mit den Kindern mit dem einen Matchbox-Auto und wieder einmal wird uns die Überfluss-Mentalität unserer westlichen Heimat vors Auge geführt. Ösi Helmut kann bestimmt sicherstellen, dass ein Paket mit Spielzeugen, die auf unzähligen deutschen Dachböden verstauben, gerecht verteilt würde. Ein Vorsatz für unsere Rückkehr, den wir hoffentlich einhalten. Gemeinsam mit der Familie schmeckt der frisch aufgebrühte Chai noch besser, der Abschied ist herzlich und lässt uns nicht kalt.
Der in Indien weit verbreitete laxe Umgang mit Zeitplänen und Verabredungen schmeißt beinahe unsere Weiterreise, die aufgrund der selten verkehrenden Transportmittel vorher ausgeklügelt und vorgebucht werden musste, über den Haufen. Mehrere Stunden warten wir vergeblich auf den verabredeten Pick-Up zurück in die Stadt und nur dank eines Fremden, der uns mit seinem Auto zurück nach Jaisalmer nimmt, erwischen wir haarscharf unseren ersten von mehreren Sleeper-Bussen ostwärts.
In Jaipur müssen wir den Bus wechseln und natürlich zu nachtschlafender Zeit noch ewig warten. Nach über 21 Stunden erreichen wir die Vororte von Delhi, als der Busfahrer plötzlich verkündet: „Last stop.“ Großartig! Die anschließende Tuk-Tuk-Fahrt zum Main Bazaar kostet uns fast so viel wie ein Busticket von Jaipur nach Delhi. In der Hauptstadt residieren wir dann getreu des (eigentlich eher süd-)asiatischen Mottos „Same Same“ wieder im Namaskar und verbringen den Tag im Tadka-Restaurant. An unserem Zielort Varanasi sind wir aber noch lange nicht angekommen. Die meisten Züge sind ausgebucht – natürlich die schnelleren – und so tuckern wir in 18 Stunden in die heilige Stadt am Ganges. Zum Glück haben wir uns dieses Mal zwei Betten im 3AC-Abteil gebucht, so dass wir erst recht gemütlich sitzen können und dann abends die Liegen umbauen können. Es gibt sogar Decken und Kopfkissen und trotz Klimaanlage frieren wir nicht. Essen und Trinken wird rund um die Uhr zu günstig indischen Preisen serviert (Tee 5 Rupien, Nudeln 20, Cola 25). Es hätte schlimmer kommen können, auch wenn ein in der Nähe schlafender Familienpapa chronische Verdauungsprobleme zu haben scheint!
Ungünstig ist die Ankunftszeit in Varanasi: 4.30 Uhr morgens. Vom versprochenen 24-Stunden-Abholservice des Shanti Guesthouses ist auch nach mehreren Anrufen weit und breit nichts zu sehen. Also nehmen wir auf eigene Kosten ein Tuk-Tuk in die Altstadt. Als der Fahrer plötzlich stoppt und sagt: „And now, walk.“ wird uns doch etwas mulmig. Wir irren (mit ihm) 15 Minuten durch die engen Gassen – immer in der Annahme, dass seine Kumpels hinter der nächsten Ecke mit Knüppeln auf uns warten – bis er auf das Shanti-Schild zeigt. Wir wussten nicht, dass man zu den Guesthouses in der selbst für indische Verhältnisse verwinkelten Altstadt laufen muss – also alles gut. An der Rezeption schaut man uns verwirrt an, als wir um 5 Uhr morgens ein Zimmer haben wollen. Wir schlafen letztendlich sofort ein und brauchen einen Moment, um zu realisieren, welche Geräusche uns wecken. Direkt neben unserem Raum finden die morgendlichen Yoga-Sessions statt. Schon von der Dachterrasse des Hotels haben wir einen tollen Blick auf den Ganges.
Wenige Meter vom Shanti entfernt befindet sich das berühmte Burning Ghat, Manikarnika. Unzählige Schaulustige wohnen dem Verbrennungsritual bei, Fotos sind verständlicherweise verboten. Wenn sich bei der Beerdigung eines engen Familienmitgliedes auf einmal verlottert gekleidete, mit Kameras behangene, in fremder Zunge sprechende Menschen zwischen die Trauergemeinde drängen und ins Grab knipsen würden, wäre das auch auf einem deutschen Friedhof nicht unbedingt gerne gesehen. Einige Touristen können trotzdem nicht die Finger vom Auslöser lassen. Schade!
Varanasi ist DIE Pilgerstätte in Indien. Ein Bad im Ganges soll von Sünden reinigen, in Varanasi zu sterben und verbrannt zu werden soll vor einer Wiedergeburt schützen. Aus allen Teilen des riesigen Landes kommen Menschen angereist, um sich hier von verstorbenen Familienmitgliedern zu verabschieden. Alle zwei Minuten kommen Träger mit aufgebahrten Toten im Laufschritt durch die Altstadt gerannt, bei nicht allzu breiten Straßen muss man als unerfahrener Gringo gehörig aufpassen, nicht in einen Auffahrunfall mit einer Leiche verwickelt zu werden. Als Hindu wird man rituell verbrannt, bevor die Asche in den heiligen Ganges gestreut wird. Die Leichen von Kindern, Schwangeren, Brahmanen und Leprakranken überspringen den Prozess des Verbrennens und werden mit Steinen beschwert direkt im Fluss versenkt, da sie nach hinduistischem Glauben ohnehin als heilig gelten.
Cirka 300 Kilo Holz (zum Preis von fünf Rupien pro Kilo) werden für eine Verbrennung benötigt, die ungefähr drei Stunden dauert. Den Ärmeren wird eine kostenlose Verbrennung auf Staatskosten in einem elektrischen Ofen angeboten.
Wirklich lohnenswert in Varanasi ist ein Spaziergang entlang des Ganges (heißt er deshalb wohl so?) bis zum Assi Ghat. Nein, das hat nichts mit zahnlosen Schalkern zu tun. Mit Snacks von den Milliarden an Straßenhändlern lässt man sich auf einer der unzähligen Treppen nieder und beobachtet das Treiben am Fluss. Dort verleihen Saddhus mit mehr oder minder gezähmten Kobras ihrer Bitte um eine Geldspende Nachdruck, während ein Stückchen weiter indische Jungs – mit Bürsten und Seife bewaffnet – Kühe und Ochsen, die papierkauend anstehen, abschrubben. Heiliges Tier müsste man seien. Jedes freie Fleckchen von mehr als sieben Meter Länge wird für mehr oder minder improvisierte Partien des Nationalsports Cricket genutzt. Ab und zu sollen sich auch die bereits oben erwähnten Steine von den Totenbetten der Heiligen lösen, so dass die Leichen an die Oberfläche treiben. (Glücklicherweise) bleibt uns dieser Anblick verwehrt. Abends bietet der guest house-eigene Ruderer kostenlose Trips auf dem Ganges an, die er für den Aufpreis von einem Euro pro Person gerne verlängert, so dass man vom Wasser aus das abendliche Puja (Varanasis Schutzpatron Shiva gewidmetes Ritual) aus der ersten Reihe verfolgen kann, während sich an Land tausende Inder versammeln. Heilige Lieder werden gesungen, Fackeln gewirbelt und jede Menge Weihrauch schwängert die Luft. Bizarr, aufregend, interessant! Mindestens ebenso große Augen machen wir, als unser Bootskapitän genüsslich aus dem nicht gerade sauberen Ganges trinkt. Ganz abgesehen von den Leichen. Auf der Dachterrasse des Shanti Guesthouses kommen wir schnell mit Rian und Dvir aus Israel ins Gespräch. Wir unterhalten uns über Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Vorzüge, Nachteile sowie Klischees unserer Heimatländer, die historisch ja eng miteinander verflochten sind. Israel wird nach unserer Rückkehr nicht nur wegen dem weltbesten Hummus recht weit oben auf unserer To-Do-Liste stehen. Vielleicht ist es auch einfach ein würdiger letzter Stop auf unserem Trip.
Wir können Varanasi nicht in Richtung Nepal verlassen, ohne im unter Backpackern legendären Blue Lassi Shop einzukehren. Mehr Loch in der Wand als Café, gibt es hier unglaubliche Joghurt-Getränke unterschiedlichster Geschmacksrichtungen. Die schnell geleerten Tongefäße werden krachend zerdeppert, man bleibt gerne zu einem Nachschlag, erst recht, da der Schuppen sogar kostenloses Wi-Fi anbietet.
Gemeinsam mit Franzose Julien wird die Busfahrt ins Geburtsland Buddhas (Entgegen des weit verbreiteten Vorurteils, dass der Typ warum auch immer Inder gewesen sein soll.) zu einem Trip, mit dem selbst die grausamsten Straßenbedingungen Südamerikas (Hallo, Bolivien!) nicht mithalten können. In neun Stunden bewältigen wir sage und schreibe 220 Kilometer, kriegen Krämpfe aufgrund Platzmangels sowie kratzende Lungen und verkrustete & blutige Nasen dank der Klimaanlage (=offenes Fenster in der staubigen Wallachei) des beinah auseinanderfallendes Busses. Nach 14 Stunden endlich in Sunauli angekommen, schaffen wir es nicht mehr über die Grenze nach Nepal, da der schlafende indische Grenzposten sich auch von unserem Brüllen und Schütteln nicht aufwecken lässt/lassen will. Uns bleibt nichts anderes übrig, als im wirklich schäbigen Hotel des wirklich schäbigen Grenzortes (gibt es überhaupt einigermaßen erträgliche Grenzstädte?) zu schlafen. Wir brauchen eine Pause von Indien! Dringend!